Langjähriger "Organspender" zweifelt

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MS
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Langjähriger "Organspender" zweifelt

Beitrag von MS »

Hallo Forum,
habe vor ein paar Tagen den lang angekündigten Informationsbrief zur Organspende erhalten. Zuerst dachte ich, den brauch ich nicht öffnen, hab´ ja schon einen Ausweis.
Dann hat es mich aber doch interessiert, wie die Ausweise heute aussehen.

Die neuen Informationen im Flyer haben mich total geschockt. :shock:

Damals 1992, als ich den Spenderausweis zum ersten Mal ausfüllte, war ja alles Klar. Gab ja nur die eine Möglichkeit zu äußern, das ich die lebensrettenden Organe spenden möchte.
Ich war mir sicher, das nur Herz, Lunge, Nieren und Leber transplantiert würden, und unmittelbar an lebensbedrohte Menschen gegeben werden.
Mutti hatte Tränen in den Augen, als ich sie informierte. Sie war bis ins Mark entsetzt, und glaubt, das dadurch im Fall des Falles, nicht alles für meine Lebens-Errettung getan wird........doch sie kennt meine Gründe.
2004 dachte ich, das ich den Ausweis in den Müll schmeißen muss.
Das ich, mit meinem Asthma und den Allergien, niemanden meine Lunge oder meine Leber ohne Gallenblase, zumuten könne. Das ich das nicht tat, verdanke ich Gesprächen mit Lungentransplantierten auf einer Gesundheitsmesse. Sie baten mich, den Ausweis zu behalten, und erklärten mir, das der Empfänger nicht zwangsläufig an Asthma oder den Allergien erkranken würde.
Da ich dort hörte, das auch Hornhaut und Haut inzwischen entnommen wird, füllte ich einen neuen, meinen heutigen Ausweis aus, und ergänzte ihn mit dem Zusatz zum Ausschluss dieser Entnahmen, um meine Eltern zu schonen.

Aber nun, da ich gelesen habe, was heute alles entnommen wird, das es sogar Gewebebanken gibt, und Medikamente hergestellt werden, bin ich tief durcheinander. :?

Gewebebanken, in denen meine Teile tiefgefroren lagern, und auf Abholung warten?
Medikamente aus der Bauchspeicheldrüse?
Der Grundgedanke, einen vom Tod akut bedrohtem Menschen zu retten, erscheint mir herabgewürdigt, wenn den "Nichtakutlebensbedrohten" das Leben z.B. mit Knorpelgaben erleichtert wird.
Das hört sich für mich auf einmal alles kommerziell und geschäftsmäßig an!
Gewebebanken? Unvorstellbar, ich fass´es nicht.......Kostenfrei? Da wird verdient dabei !
Wer entscheidet, welche Drüse, welches Gewebe zu Geld gemacht wird, welche einem Menschen eingesetzt wird?

Gut, ich kann ja augenscheinlich entscheiden, kann ja selbst bestimmen, was ich nun ankreuzen will. Aber wo ist der Platz für eine ausführliche Willenserklärung? Warum ist der Ausweis so klein?
Eine einzelne Zeile neben den anzukreuzenden Kästchen! :evil: Steckt da Absicht hinter?

Wenn ich es trotz der beschränkten Möglichkeit geschafft habe Anzukreuzen, das ich Herz, Lunge, Nieren und Leber spenden möchte, wer gibt die Gewähr, das in unserer heutigen Gesellschaft mein leidgeplagter, evtl. selbstmordgefährdete Ehepartner bei meinen Tode nicht doch gefragt wird, ob`s Aufgrund meiner positiven Grundeinstellung nicht doch ein bissel mehr sein darf?

Ich habe meinen Ausweis aus der Brieftasche entfernt, muss das erst einmal sacken lassen.
Liebe Grüße
MS
Christianes Herz
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Re: Langjähriger "Organspender" zweifelt

Beitrag von Christianes Herz »

MS hat geschrieben:Gut, ich kann ja augenscheinlich entscheiden, kann ja selbst bestimmen, was ich nun ankreuzen will. Aber wo ist der Platz für eine ausführliche Willenserklärung? Warum ist der Ausweis so klein?
Guten Tag MS,

Sie haben die Möglichkeit, selber einen Ausweis zu kreieren. Formlos auf einem Blatt Papier mit detaillierten Angaben, für wen und was Sie zu spenden bereit sind. Und dieses auch im Familien- und Freundes- und Bekanntenkreis kundzutun.

Frdl. Grüße
Christiane
MS
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Re: Langjähriger "Organspender" zweifelt

Beitrag von MS »

Danke Christiane, für deine schnelle Antwort. :D

Oh, das wusste ich nicht, dachte der Ausweis ist ein offizielles Dokument.

Habe wie gesagt 1992 einfach gefühlsmäßig gehandelt, ohne jegliche tieferen Gedanken an Missbrauch durch Organhandel oder Kommerz-Möglichkeiten.
Im Moment nützt mir daher ein "Selberkreieren" nichts, ich weis einfach im Moment nicht mehr, ob ich überhaupt noch spenden will.
Mein Kopfwissen kämpft gegen mein Gefühl. Dazu kommt das Wissen, das es meinen Lieben lieber wäre, ich stellte mich nicht mehr zur Verfügung.

Selbst, das ich weis, das meine innere Hornhaut kaputtgeht, und mein Doc von einer später notwendigen Hornhauttransplantion sprach, bringt mich nicht weiter.
Ich kann mir nicht vorstellen, eine anzunehmen.... Vielleicht denke ich später ja anders darüber, aber im Moment ist das ein seltsames Gefühl.
Über "lebensverbesserungen" durch Spenden habe ich bis zum Flyer nicht nachgedacht.
Das ich mal Knorpel in meine kaputten Gelenke übertragen lasse, glaube ich auch nicht.
Das ist alles nicht lebensnotwendig.
Ich sage das, obwohl ich sehr gut weis, was Schmerzen sind. (Neurophatische und Gelenk)

Ich weis nicht, wer heute schon, an welchen Organen/Geweben, wie verdient, oder in Zukunft verdienen wird.
Weis nicht, wie diese heutigen oder in Zukunft noch mehr werdenen Medizinprodukte, und Medikamente den "Bedürftigen" helfen, und welche Taschen sie füllen werden.
Ich wundere mich auch immer wieder, wenn bekannte Personen auf einmal eine Organspende erhalten, kaum das man von deren Erkrankung gehört hat. Von "Ottonormallos" hört man nur, das sie jahrelang warten, oder wartend auf der Liste verstorben sind.

Ich möchte einfach keinen Kommerz mit einer Spende verbinden, oder ermöglichen.

Zu den Skandalen und Ungereimtheiten bei der Spendenvergabe kann ich sagen, das ich die Ärzte verstehen würde, die ihre eigenen, monatelang begleiteten, sterbenden Patienten zuerst versorgt wissen wollen. Das ist nur allzu menschlich.

Doch wenn so etwas gegen Bezahlung erfolgt, hört mein Mitgefühl und Verständnis auf. :evil:

Anmerkung:
Es ist/war nicht meine Absicht, die hier persönlich betroffenen Menschen herabzuwürdigen, oder ihre Gefühle zu verletzen.

Liebe Grüße
Monika
Christianes Herz
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Re: Langjähriger "Organspender" zweifelt

Beitrag von Christianes Herz »

Hi MS,

lesen Sie sich doch einfach mal hier
http://www.bmg.bund.de/themen/praeventi ... afuer.html
Punkt für Punkt, Frage für Frage durch.
Und wenn Sie dann noch nicht recht wissen, was zu tun ist, sprechen Sie mit dem Arzt, zu welchem Sie das größe Vertrauen derzeit haben und dann, wenn das alles nix nutzt, legen sie einen Zettel ins Portemonnaie "Grundsätzlich helfe ich gerne anderen Menschen mit meinen Organen, aber schaut zu, dass die Entnahme fair, wartelistengerecht und keinesfalls gegen Geld vorgenommen wird."
Idee?

Ich wünsche ihnen und allen Mitforisten eine schöne neue Woche.

:wink:

Frdl. Grüße
Christiane
MS
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Re: Langjähriger "Organspender" zweifelt

Beitrag von MS »

Hallo Christiane
Den Artikel in Ihrem Link hatte ich bereits gefunden. Danke für Ihre Bemühungen. Ihre Anteilnahme freut mich sehr. :D
Ihre aufmunternde Idee mit dem "Spruch-Zettel" in der Tasche, ist sehr nett.
Gefühlsmäßig weis ich ja auch sehr gut, was zu tun wäre. Ich hätte ja sonst kaum viele Jahre den Ausweis mit mir rumgetragen...
Ich glaube inzwischen, das mich nicht nur der "heutige Spenden-Umfang" umgehauen hat, sondern auch die vorherige Eröffnung meines Arztes, das ich später eine Hornhautspende brauchen werde.....
Ich hatte sofort den Kopf geschüttelt, und dies gedanklich klar abgelehnt.
Ich vermute, das ich mir dadurch erst bewußt werde, wie ich selbst, zu einer Spenden-Annahme stehe. Ich kann mir, wie gesagt nicht vorstellen, eine "nichtlebensnotwendige" Spende anzunehmen. Jedenfalls im Moment nicht.

Ich denke, das ich tief in mir drin, jedoch noch bereit bin, lebensnotwendige Organe zu spenden. Einer Gewebeentnahme jeglicher Art aber, oder auch der, der Bauchspeicheldrüse, würde ich klar widersprechen.

Im Moment aber, liegt mir auch noch die Einstellung meines jetzigen Partners schwer im Magen. Er wusste von Anfang an, das ich einen Ausweis habe. Bis zum Flyer aber, wusste ich nicht wirklich, wie sehr es ihn tatsächlich belastet. Mir geht auch das damalige Entsetzen meiner Mutter wieder durch und durch.
Ich weis nicht, ob ich mich nicht eher den Wünschen meiner Liebsten anschließen müsste.
Sie sind ja schließlich die, die daran zu knacken haben, wenn ich nicht "Vollständig" der Erde übergeben werden kann. Von deren Gedanken an das Aufschneiden zur Entnahme, mal ganz abgesehen.
Dazu kommt, das auch meine Familie denkt, das bei vielen Spenden einiges nicht mit rechten Dingen zugeht.
Es fällt schwer, die eigene liebende Familie, für Fremde zu belasten, oder zu verletzen.
Mein Spendenwunsch kommt mir im Moment reichlich egoistisch vor.

Wenn ich wüsste, ob meine Organe überhaupt noch für eine Entnahme taugen, wäre mir wohler.
:?: Wie ist da die Erfahrung bei langjährigen Opiateinnahmen?
(Fentanyl-Pflaster: 12,5µg – 50µg)

Mit freundlichen Grüßen
MS
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