Schweres Schädel-Hirn-Trauma (SHT) : Tipps für Angehörige

Gesundheitsberichterstattung und Medizin-relevante Themen in TV, Rundfunk, Print, Internet und Social Media

Moderator: DMF-Team

diana90
Topicstarter
noch neu hier
Beiträge: 1
Registriert: 04.02.15, 13:02

Schweres Schädel-Hirn-Trauma (SHT) : Tipps für Angehörige

Beitrag von diana90 »

Liebe Angehörigen von SHT-Patienten.
Ich will euch mit diesem Bericht meine Erfahrungen als Angehörige eines Patienten mit schwerem Schädel-Hirn-Trauma mitteilen und euch aus meiner Sicht wichtige Tipps geben. Nicht jedes Schädel-Hirn-Trauma ist gleich. Aber vielleicht kann ich Angehörigen so Mut machen. Gerade für jene, deren SHT-Angehörige noch im Koma liegen.

Vorgeschichte
Meine Schwester war 20 Jahre und 10 Monate alt, als sie einen schweren Verkehrsunfall hatte. Sie war auf einer schmalen Landstraße rechts auf den Seitenstreifen gekommen, hatte wohl zu stark links rüberlenken wollen und dann nicht mehr bremsen können. Ihr Auto hatte einen Fabrikfehler, der die Bremsen beeinträchtigte, wie wir später erfahren sollten.
Sie knallte mit der Beifahrerseite gegen einen Baum, der Kleinwagen wand sich förmlich um den Stamm, ihr Kopf schlug rechts und links auf. Bis auf ein gebrochenes Schlüsselbein war das ihre schwerste und einzige Verletzung.
Worauf ich hinaus will: Sie hatte ein schweres Schädel-Hirn-Trauma 3. Grades. Etwa die erste Woche bewegte sie sich gar nicht in ihrem Koma, obwohl die Ärzte die Sedierung schon auf ein Minimum herunter reduziert hatten. Zu Anfang hatte sie Blutungen zwischen Gehirn und Schädeldecke. Zuerst hatten die Ärzte behauptet, ihr Gehirn sei daraufhin nicht angeschwollen – eine schlimme Komplikation, sie hätten den Schädel wohl öffnen müssen – später hieß es, die Schwellung sei „nicht so stark“ gewesen. Noch in der selben Nacht war sie jedenfalls außer Lebensgefahr.

Umgang mit Ärzten
Was am allerwichtigsten ist: Nehmt euch das, was die Ärzte sagen, nicht so zu Herzen. Es ist so: Sie haben keine Ahnung vom Gehirn. Klar, sie können es durchleuchten und genau sagen, wo was kaputt ist. Aber wie sich das auf Körper und Geist, Fähigkeiten und Verhalten auswirkt, das wissen sie nicht. Und sie haben auch keine Ahnung, was sich im Kopf abspielt, wann jemand aus dem Koma aufwachen wird und wie dann sein Zustand ist. Die Ärzte haben uns oft geschockt mit Formulierungen wie „Sie kann auch immer in dem Zustand bleiben“ oder „Es kann Wochen, Monate, Jahre dauern, bis sie aufwacht – oder nie.“ Auch hieß es vorübergehend, sie habe unter Umständen den Krankenhauskeim, einen „sensiblen“ Keim. Wir mussten uns wie OP-Ärzte verkleiden, um zu ihr zu dürfen. Fakt war: Sie hatten irgendeinen Keim festgestellt und noch keine Ahnung, welcher es war. Es war eine reine Vorsichtsmaßnahme. Und „sensibel“ hieß nur, dass er mit Antibiotika zu bekämpfen war. Das hat uns aber niemand erklärt.

Wir litten sehr unter dem Fachchinesisch, den vagen Aussagen oder auch den ganz und gar unverständlichen Aussagen von einigen ausländischen Ärzten. Ich bezweifle nicht ihre Kompetenz – aber wenn das einzige, was der Chefarzt in gebrochenem Deutsch nach der Untersuchung zu den Angehörigen sagt, ist: „Ja, ja, gut. Wird wieder, ja?“ - dann wussten wir gar nicht mehr, was wir glauben sollten.

Die einzigen, die geholfen haben, waren die Intensivschwestern. Eine fröhliche, burschikose darunter war sich absolut sicher, dass meine Schwester wieder gesund würde – und so war es dann ja auch. Von den Ärzten haben wir niemals ein positives Wort gehört. Klar, dass sie darauf nicht festgenagelt werden wollen. Aber was sollte das, dass sie uns ständig mit negativen bloßen Vermutungen (!) fertig machten?! Nicht falsch verstehen: Bei wichtigen Entscheidungen solltet ihr auf den Rat der Ärzte hören. Ihr habt ja auch keine andere Wahl. Aber bleibt wachsam.

Komplikationen
Viel – man verzeihe die Formulierung – Mist ist in den Krankenhäusern passiert. Auf der Intensivstation passte kaum jemand wirklich im Zimmer auf. Meiner Schwester gelang es nachts, sich im Koma zunächst den Ernährungsschlauch aus der Nase zu ziehen. Einen Tag später dann riss sie sich den Tubus aus dem Hals, mit dem sie beatmet wurde. Die Erklärung der Schwestern: „Naja, sie hat ja zum Glück spontan geatmet.“ Auf unser Entsetzen wurde bissig reagiert. Bei der Aktion hatte sie sich zudem einen Knorpel verletzt, der ihr jetzt auf die Luftröhre drückt. Beim Verschlucken kriegt sie echte Atemnot.
Zuvor passierten noch einige Fauxpas mit dem Luftröhrenschnitt: Man schnitt zwar, aber das passende Teilchen zum Offenhalten der Luftröhre fehlte wohl. Tage später gelang es dann erst. So hat meine Schwester gleich zwei ungewöhnlich dicke, wulstige Narben am Hals.

Sie bekam auch eine Lungenentzündung. Das ist wohl sehr häufig wenn man per Schlauch beatmet wird. Sie musste schrecklich husten und viele verschiedene Antibiotika nehmen. Aber die halfen gut, es war nach zwei Wochen vorbei.
In einem anderen Krankenhaus – nicht mehr auf der Intensivstation – gab man ihr „aus Versehen“ die falsche Dosierung Medikamente. Mehrmals. Zumindest hätte man das, hätte meine Mutter nicht aufgepasst wie ein Schießhund. Aber ob zwei oder eine halbe Pille Psychopharmaka – wen stört das? Passt also auf eure Patienten auf!!

Im Koma
Mit dem Koma verhielt es sich so: Erst bewegte sie sich gar nicht. Dann immer mehr, zunächst ab und zu die Finger. In den letzten Tagen vor dem Erwachen – vielleicht die letzte Woche - ranterte sie nur noch herum. Nachts mussten wir sie am Bett festbinden, tagsüber festhalten, damit sie nicht raus fiel. Sie hatte einen Puls wie ein Sprinter, und das dauerhaft, über Stunden. Schließlich riss sie auch die Augen weit auf, ohne etwas zu sehen. Auf die ständigen Aufforderungen, die Hand zu drücken oder andere Zeichen des Bewusstseins zu geben, reagierte sie kaum bis gar nicht. Das machte uns viele Sorgen. Aber alleine die ständige Wehrigkeit war wohl ein Anzeichen, dass sie bald aufwachen würde.

Ohne euch die Hoffnung zerschlagen zu wollen: Wenn der Patient hustet, die Augen zukneift, wenn man sie berührt, wenn er sich bewegt, niest: Das sind keine Zeichen von Bewusstsein, sondern rein vegetative. Auch ein Bekannter, der wohl hirntot war, hat das getan. So hatten wir den direkten Vergleich. Aber: Auch, wenn bei meiner Schwester noch „etwas“ im Kopf war, hat sie sich kaum anders verhalten.

Das Aufwachen
Meine Eltern schwören, dass sie schon drei, vier Tage vor dem Erwachen bei Bewusstsein war. Einen ansah, ihr Kuscheltier auf Aufforderung nahm und die Hand drückte. Später verschwand das wieder. Aber nach genau 18 Tagen erwachte sie vollständig. Sie erkannte uns – meine größte Angst war, dass ihr Altgedächtnis verschwunden sein könnte. Tatsächlich waren einige Tage vor dem Unfall, der Unfall und viele Wochen nach dem Unfall verschwunden. Ihr Gedächtnis funktionierte überhaupt nicht, sie vergaß, was wir sagten, Gesichter und alles andere nach etwa einer Minute. Es wurde aber besser. Nach rund sechs Monaten funktionierte es wieder recht normal. Die Erinnerungen an vorher genanntes blieben aber verschwunden. Auch an das Koma, deshalb wissen wir nicht, inwiefern wir mit unseren Bemühungen zu ihr durchdringen konnten.

Genesung
Aufgrund ihres Alters machte sie rasend schnelle Fortschritte. Den zweiten Tag konnten wir sie füttern. Eine Woche später aß sie selbst. Sprechen konnte sie zwei bis drei Tage danach, und lernte es immer besser. Selbst sitzen bleiben dauerte etwa eine Woche. Laufen etwa vier Wochen.

Sie kam in eine hervorragende Reha-Einrichtung. Trainiert wurden und werden dort Koordination, Gedächtnis, Gleichgewicht und Ausdauer. Mit all dem hat sie besondere Probleme. Ansonsten ist sie wie früher, auch fröhlich, lustig, klug.
Es ist so: Die ersten Tage und Wochen war sie wie auf Droge. Hat über alles wie verrückt gekichert, hatte Wahnvorstellungen, hat Träume als falsche Erinnerungen gespeichert, hat sich kaum was merken können, war eigentlich immer recht gut drauf und niemals grantig, zynisch oder böse. Wenn das wiederkehrt, wisst ihr, dass sie auf einem guten Weg sind. Macht euch keine Sorgen über diese Symptome. Bedenkt: Das Hirn hat schwer gelitten und sie werden mit Pillen nur so zugepumpt. Aber es wird auch besser werden.

Es heißt, das Hirn regeneriert sich ein Jahr lang. Was danach bleibt, das bleibt immer. Jetzt, acht Monate nach dem Unfall, habe ich fast meine alte Schwester wieder. Niemand würde ihr auf den ersten Blick den Unfall anmerken (von den Narben mal abgesehen). Vielleicht sogar in einem langen Gespräch nicht. Was anders ist: Sie hat Angst vor dem Zugfahren. Sie hat Angst, im falschen Abteil zu sitzen oder im falschen Zug, die Station zu verpassen oder ähnliches. Das ist, weil ihre Koordination noch nicht so gut ist. Ihr Gleichgewicht ist auch schlechter als meines. Wenn sie nach unten sieht, sieht sie doppelt bzw. verschwommen. Das ist schon besser geworden, zunächst hat sie alles doppelt gesehen. Aber sonst?
Ich kann nicht für diejenigen sprechen, deren Angehörige im Koma viel älter sind als meine Schwester. Für alle anderen: Macht euch nicht so viele Sorgen. Ich hatte Panik und war fast überzeugt, dass sie im Nachhinein doch noch stirbt. Aber so ein junger Körper kann wahnsinnig viel verkraften. Was die alles in sie hinein gepumpt haben! Dann der ständige schnelle Herzschlag!

In der Reha meiner Schwester sind viele in dem Alter. Sie haben alle viel durchgemacht, einige noch Schlimmeres als sie. Hirnblutungen, Schlaganfälle, Horror-Unfälle – teils auch im Kleinkind-Alter – und Stürze, bei denen der Schädel teilweise nur noch Splitter war. Aber sie alle leben und haben wahnsinnige Fortschritte gemacht. Auf mich wirken die meisten wie ganz normale, junge Leute. Und das ist es doch, was wir wollen.

Die wichtigsten Tipps
Also:
1. Passt gut auf eure Angehörigen auf, die Krankenschwestern und Ärzte machen auch Fehler. Und zwar nicht zu knapp.
2. Lest ihnen ruhig vor, spielt Musik, redet mit ihnen, schließlich kann keiner wissen, ob sie nicht doch was hören.
3. Gebt nicht zu viel Gewicht auf die Aussagen der Ärzte – vom Gehirn hat keiner ne richtige Ahnung.
4. Seid nicht geschockt, wenn sie sich merkwürdig verhalten, wehrig sind oder verrücktes Zeug reden. Das Gehirn erholt sich ja gerade!
5. Gebt ihnen Zeit. Wenn sie etwas nicht können, können sie es eben nicht. Noch.
6. Gönnt euch selbst auch Pausen! Es können auch mal andere aufpassen. Esst genug und guckt mal einen Film oder lenkt euch sonst wie ab.

Ich wünsche euch ganz viel Kraft und Geduld.
Lori1190
noch neu hier
Beiträge: 1
Registriert: 19.12.17, 01:14

Re: Schweres Schädel-Hirn-Trauma (SHT) : Tipps für Angehörig

Beitrag von Lori1190 »

Hallo Diana,


dein Artikel ist zwar schon lange her, aber er hat mir gerade sehr geholfen!!

Ein wichtiger Mensch in meinem Leben hatte vor ein paar Tagen einen schlimmen Unfall. Ich habe bisher nur mitbekommen, dass er seitdem mit Hirnblutungen im künstlichen Koma liegt.
Da ich keine Angehörige bin, bekomme ich nicht richtig mit was mit ihm los ist. Leider!
Ich mache mir totale Gedanken wann sie ihn wieder wach werden lassen und wie es ihm dann geht etc.
Das macht mir Sorgen! Aber dein Artikel hat mir Mut gemacht! Danke schön dafür !!

Ich hoffe dir und deiner Schwester geht es gut.


Liebe Grüße
Lori
On-Air
noch neu hier
Beiträge: 1
Registriert: 12.04.18, 20:58

Re: Schweres Schädel-Hirn-Trauma (SHT) : Tipps für Angehörig

Beitrag von On-Air »

Hallöchen,

ganz ehrlich, als ich vor zwei Jahren ständig nach "Schädel-Hirn-Traum" wahlweise ergänzt durch "Folgen", "Wie verhalten?", "Was tun?" oder Ähnliches, gegoogelt habe, hätte ich sehr gerne den obigen Beitrag gefunden. Hatte ich aber leider nicht.

Damals (im September 2016) standen wir am Bett meines Vaters (der mit dem Kopf voran in der Beifahrertür eines Multivans gelandet war, da sowohl er auf seiner Vespa den Bus, als auch der Fahrer des Buses ihn beim links abbiegen nicht gesehen hat) und konnten mit den vagen Prognosen und ausweichenden Kommentaren der Ärzte so gar nichts anfangen. Es dauerte drei Einrichtungen und etwa ein halbes Jahr, bis wir uns bewusst waren, dass es vollkommen egal ist, was die Ärzte sagen. Und ich meine es so, wie ich es schreibe. Total egal. Keiner hat das gleiche gesagt, wie der andere. Wenn sie denn überhaupt etwas gesagt haben. Am besten hat mir der Oberarzt gefallen, der meinte, dass mein Vater nicht ansprechbar sei. Dem war die Fähigkeit zwischen "aus Antipartie jegliche Antwort verweigern" und "apathischem Verhalten" zu unterscheiden einfach nicht gegeben. Dafür war er absolut beratungsresistent. Bis meine Mutter ausgerastet ist. Wohl so ein bisschen Marke "Wenn man keine Ahnung hat, dann einfach mal die F§$%/e halten". Das berichteten im Nachhinein die Schwestern, die das auf dem Flur deutlich vernehmen konnten, denn meine Mutter -völlig runter mit der Bereifung- hatte nicht den geringsten Schimmer, was sie dem guten Mann alles an den Kopf geschmissen hatte. Ende vom Lied: Er hat sich am nächsten Tag bei ihr entschuldigt. Fazit: Ärzte und Schädel-Hirn-Traum scheinen in dem Moment, wo kein medizinischer Eingriff mehr notwendig ist, inkompatibel.

Jetzt fragen Sie sich, wem man dann vertrauen oder etwas glauben sollte? Das ist einfach. Den Personen, die Tag und Nacht für Menschen mit schwerem Schädel-Hirn-Trauma da sind: den Krankenschwestern und Pflegern. Die beobachten Veränderungen, die sonst keinem auffallen. Selbst, wenn diese auf ihren Stationen rotieren müssen, um das Pensum zu schaffen. Im nächsten Schritt sind es definitiv die Therapeuten, die einem die Fragen ehrlich beantworten. So fragt man sich oft "Wird er das wieder können?" und sie sagen nicht "Aus medizinischer Sicht kann man keine abschließende Prognose stellen", sondern "Schauen Sie mal, was er jetzt schon wieder kann. Ich sehe derzeit keinen Grund, warum er jetzt plötzlich keine weiteren Fortschritte machen sollte". So. Was baut einen mehr auf? Inhaltlich ist es eigentlich keine befriedigendere Antwort, aber eine menschlichere. Man wird schnell merken, dass Menschlichkeit im Umgang mit Betroffenen und den Angehörigen das Wichtigste ist. Daraus kann man auf dem langen Weg zu Genesung seine Kraft ziehen.

Da kommen wir schon zum nächsten Thema: dem langen Weg. Und zwar wohin auch immer. Ein Schädel-Hirn-Trauma ist nun einmal kein Beinbruch, bei dem es einen klaren Behandlungsplan gibt, der dann zur Genesung führt. Es handelt sich dabei viel mehr um eine Wundertüte. So nenne ich meinen Vater übrigens ab und an: Wundertüte. Daran können Sie schon erkennen, dass er lange noch nicht der Alte ist. Ob er es je wieder werden wird? Keine Ahnung. Ziele verändern sich im Verlauf der Zeit. Am Anfang sollte er erst einmal wach werden. Dann sollte er eine Reaktion zeigen, wenn wir ihn ansprechen. Als nächstes sollte er sprechen lernen. Nachdem er das konnte, war laufen das nächste Ziel. Dass er lesen konnte, haben wir nebenbei bemerkt. Dann sollte der (obligatorische) Krankenhauskeim verschwinden. In der Phase, wo er einen nach 1-stündiger Fahrt nur kurz angesehen und wieder aus dem Zimmer geworfen hat, wollte man einfach nur, dass das aufhört. Jetzt grade würde ich mir wünschen, dass er nachts auf die Toilette geht, seine Wortfindungsstörung und seine Orientierung sich verbessern und er die Namen seiner Enkeltöchter zu jeder Zeit parat hat. Klar hätte ich gerne meinen lebenslustigen, immer lächelnden, aktiven, aufgeschlossenen Vater wieder, der keinen Tag ohne seine Enkelkinder konnte und als Ausgleich zur vielen Arbeit mit meiner Mutter Kurztrips unternommen hat oder mit den Männern zum Löwenfrühstück aufgebrochen ist. Trotzdem - hätte ich einen Wunsch frei - dann wäre es nicht das, sondern, dass wir alle in der Familie gesund bleiben.

So komme ich zu meinem letzten Themenfeld: Das Trauma annehmen und für sich selbst verarbeiten. Mein Vater hat ein schweres Schädel-Hirn-Trauma erlitten. Aber wie nennt man das, was wir haben? Was hat meine Mutter, wenn sie nachts nicht schlafen kann? Was habe ich, wenn ich grundlos meinen Mann anpflaume, weil mir kurz vorher wieder einmal klar geworden ist, dass nicht alles wie früher ist? Wie bezeichnet man das, was meine 7-Jährige hat, wenn sie aus heiterem Himmel "Ich möchte meinen Opa wieder haben" sagt? Klar, auch eine Art Trauma. Wie man es genau nennt, ist mir eigentlich wurscht. Ich möchte damit sagen, dass jeder mit der neuen Situation anders umgeht und auch umgehen dürfen sollte. Mein Mann war immer unheimlich optimistisch. Das ging mir fürchterlich auf die Nerven. Ich war immer sehr realistisch. Dafür wollte meine Mutter mich erwürgen. Das alles muss man erst einmal erkennen, dann besprechen und im letzten Schritt akzeptieren. So wie es die "optimale oder richtige Therapie" für meinen Vater nicht gibt, so gibt es auch kein Richtig oder Falsch im Umgang mit der Sache. Solange man damit umgeht. Ich weiß nicht, welche Erfahrungen andere mit Freunden und Familie in der Situation gemacht haben, aber es dauert nicht lange, da erkennt man deutlich, wer für den Freund, Bruder, Arbeitskollegen etc. wirklich da ist. In unserem Fall sind das glücklicherweise sehr viele. Aber eben auch nicht alle. Auch damit muss man umgehen können. Leichter gesagt, als getan. Da man aber auf dem Weg schon Vieles hat meistern müssen, wird das irgendwann zum geringsten Übel.

Für mich ist mein Vater, so wie er jetzt ist, einfach so, wie er jetzt ist. Jede Verbesserung ist herzlich willkommen und natürlich hoffe ich, dass sich alles bessert. Aber ich erwarte nicht mehr, dass das von heute auf morgen passiert. In den nächsten drei Jahren sollten wir es gemeinsam zu einer Art Normalität zurückgeschafft haben. Er sollte wieder jeden Tag zuhause sein können und nicht die Woche über in einer Therapieeinrichtung leben müssen, weil in 3 Jahren schlicht keine tagesumfassenden Therapien mehr nötig sein sollten. Er sollte allein zuhause bleiben können, ohne desorientiert im Dorf umher zu irren. Ich möchte, dass meine Eltern dann wieder Ausflüge mit unseren Töchtern machen können. ABER, wenn ich in drei Jahren gefragt werde, ob ich mit der dann bestehenden Situation unzufrieden bin, bin ich mir jetzt schon sicher, dass ich nein sagen werde, auch wenn noch nicht alle (meine) Erwartungen erfüllt sind. Einfach, weil ich ihn liebe, wie er ist. Mein Vater ist übrigens 52 Jahre alt. Es müssen also noch viele schöne gemeinsame Jahre für uns alle drin sein. Und das werden sie auch. Kopf hoch an alle, die noch am Anfang des Weges und sämtlicher Erkenntnisse stehen. Das wird. Was auch immer wird.
Antworten Thema auf Facebook veröffentlichen Thema auf Facebook veröffentlichen